Religion




Buddha im Wat Si Chum, Sukhothai, Foto Dackweiler



Religion im Königreich Thailand 


Der Buddhismus ist mit fast 95 Prozent der Bevölkerung die Religion Thailands. Die Christen sind mit ca. 0,7 Prozent eine verschwindende Minderheit, während die Moslems mit gut 4,5 Prozent vor allem im Süden eine durchaus beachtliche Rolle spielen. Die Nähe zu Malaysia ist unübersehbar. Gerade in jüngster Vergangenheit ist es des öfteren zu heftigen und blutigen Konflikten mit der Staatsautorität gekommen.

Thema dieser Ausführungen ist die dominierende Religion des Königreichs und zwar in ihrer bestimmenden Form des Theravada-Buddhismus , auch bekannt unter dem Begriff des „kleinen Fahrzeugs“. Daneben gibt es eine Minderheit von Mahayana-Buddhisten („großes Fahrzeug“), vor allem unter der chinesischen Bevölkerung, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann.

Die Lehre – Anspruch und Wirklichkeit

Der Buddhismus hat wesensmäßig eine verbindliche Dogmatik und eine unverwechselbare Ethik. Er gründet sich auf Gautama Buddha als seinen Stifter (ca. 560 bis 480 v. Chr.),² der nach seiner Erleuchtung als Wandermönch durchs nördliche Indien zog, um seine Lehre, den zeitlosen und unwandelbaren Dharma zu verkündigen. Er verstand sich weder als Gott noch als religiöser Führer. Es ging ihm einzig und allein um den Dharma. Dieser nahm nach dem Tod des Erhabenen sukzessive eine konkrete äußere Gestalt an, wovon die drei ersten buddhistischen Konzile (Rajagaha, bald nach Gautamas Tod; Vesali, 383 v. Chr.; Pataliputta, 253 v. Chr.) zeugen. – Auf die zunächst mündliche Überlieferung folgte ab dem 1. vorchristlichen Jahrhundert die schriftliche Fixierung des sogenannten Pali-Kanons oder Tipitaka, des normativen „Dreikorbs“ mit Ausführungen zur Ordensdisziplin und zur Lehre sowie scholastischen Darlegungen. Daneben gibt es zahlreiche „nichtkanonische“ Schriften.

Da von Anfang an eine oberste Lehrautorität fehlte, waren Streitigkeiten über den Dharma vorprogrammiert. Zu einem ersten Schisma kam es auf dem 2. Buddhistischen Konzil von Vesali, wo sich die Gruppe der Theravadins („Anhänger der Lehre der Alten“) und die Mahasanghikas („Anhänger der Großen Gemeinde“) gegenüberstanden, was in der Folge zu der bekannten Zweiteilung führte: man unterscheidet nunmehr die strenge, einer Art Urbuddhismus verpflichtete Richtung des „kleinen Fahrzeugs“ (Hinayana) vom weitherzigen, großzügigen Mahayana-Buddhismus, dem „großen Fahrzeug“. Letzterer verzweigte sich in der Folge in zahllose Facetten, aber auch der Hinayana-Buddhismus ist keine einheitliche Größe. Manche sprechen von 18 Sekten, unter denen die in Thailand vorherrschenden Theravadins die bedeutendste Gruppe sind.

Nicht selten wird behauptet, der Urbuddhismus sei eigentlich gar keine Religion, sondern eine philosophische Ethik. Buddha propagierte in der Tat eine befreiende „Erkenntnis“, die ohne göttliche Hilfe, Gnade, Vergebung und dergleichen auskommt. Gleichwohl geht es um „Religion“, denn das zentrale Anliegen des Dharma ist die „Erlösung“ (freilich als „Selbsterlösung!). Und damit bewegen wir uns auf religiösen Terrain, wie schon die Begrifflichkeit unmißverständlich zeigt.

Im Zentrum stehen die vier edlen oder heiligen Wahrheiten, die alle um den Begriff des Leidens kreisen: Demnach ist jegliches individuelle Leben Leiden. Leben und Leiden sind Synonyme (1. Wahrheit). Ursache der Leidensentstehung sind Begehren und Lebensdurst (2. Wahrheit). Erlösung vom Leiden besteht im Aufhören allen Begehrens (3. Wahrheit). Leidenserlöschung als Ziel erreicht der, der den edlen achtfachen Pfad geht (4. Wahrheit), die zentrale ethische Anweisung für buddhistisches Leben, die sich in folgende Aspekte entfaltet: „Rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede, rechte Tat, rechter Lebenserwerb, rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung.“ – Wichtig ist, daß Gautama selbst diesen Weg als „Mittelpfad“ qualifiziert hat – jenseits der Extreme von rigoristischer Askese und bequemer Anpassung an die Welt.

Die Erkenntnis der vier edlen bzw. heiligen Wahrheiten ist kein Selbstzweck, sondern ausgerichtet auf das Erlösungsziel des Nirvana. Für einen Abendländer ist es schier unmöglich auszudrücken, was das Nirvana sei. Aber auch im östlichen Denken ist diese Vorstellung etwas Besonderes. Der Hinduismus kennt das Aufgehen der „Seele“ (Atman) im Brahman („Weltenurgrund“) als positives Erlösungsziel. Derlei ist im Buddhismus auf Grund seiner speziellen Sicht vom Menschen (s.u.) unmöglich. Eine positive Beschreibung des Nirvana gibt es nicht. Man kann sagen, es sei Freiheit und Ende von allem. Ist es dann aber das „Nichts“? Das wäre auch nicht angemessen und typisch „abendländisch“ gedacht. Nirvana wird als unabhängiger, unveränderlicher, schlechthin überlegender „Dharma“ bezeichnet, als Dharma der „ewigen Ruhe“ und des „ewigen Friedens“. Aber auch das ist im Grunde wieder uneigentliche Rede, denn sie ist letztlich auch mißverständlich als „positive“ Diktion...

Nun muß man vor allem sehen, daß für die schlichten Laienanhänger das eigentliche Erlösungsziel des Verlöschens, das Eingehen ins Nirvana, sowieso in weiter Ferne ist. Was sie erstreben, ist eine bessere Wiedergeburt im großen Kreislauf (Samsara). Der bekennende Buddhist nimmt seine Zuflucht zu den sogenannten „drei Juwelen“: zu Buddha, zum Dharma (Lehre) und zum Sangha (Orden). Der Laienanhänger verpflichtet sich, die fünf Sittengesetze einzuhalten: Vermeiden von Töten, Stehlen, Ehebruch, Lüge und vom Genuß berauschender Getränke. So kann er gutes Karma (s.u.) ansammeln, um sich eine gute Wiedergeburt zu sichern. Das ist das Blickfeld des bodenständigen Frommen im Kontext des weltlichen Lebens. Vom Bhikkhu, dem Mönch also, wird mehr verlangt, vor allem die Befolgung von zehn anspruchsvollen Sittenregeln, wovon noch die Rede sein wird.

So weit die schöne Theorie. Die Praxis – auch und gerade in Thailand – bleibt freilich oft weit hinter der Realisierung der genannten Vorschriften zurück. Die Sache mit der Wiedergeburt ist gut und schön, aber was man vor allem erstrebt, ist ein ganz vordergründiges Wohlergehen hier und jetzt.

Von Anfang an mußte die Botschaft des Erhabenen Konzessionen an die bodenständige Volksfrömmigkeit, an die Sehnsüchte des „homo religiosus“ machen. Sonst hätte die Religion nicht überlebt. Brahmanistisch-hinduistisches Erbe, von dem der Buddha ja selbst ursprünglich herkommt, aber auch animistische Tendenzen werden – mehr oder wenig bereitwillig – integriert: Götter haben zwar für die Erlösung keine Relevanz, aber ihre Existenz wird nicht in Frage gestellt. Buddha hat ihre Bedeutung reduziert, sie aber nicht geleugnet. Was Wunder, daß in der gelebten Volksfrömmigkeit Götterbilder, sozusagen das Numinose zum Anfassen allüberall vorhanden sind. Wer kennt nicht den Erawan-Schrein mit dem Brahmabildnis mitten in Bangkok, einen Ort beindruckender religiöser Lebendigkeit!

Selbstverständlich kam man auch nicht umhin, nach einigen Jahrhunderten der Abstinenz Buddhabildnisse zuzulassen. Zwar sieht der Theravadabuddhismus nach wie vor im Erhabenen keine Erlösergestalt, aber die „Verehrung“ des Buddhabildes gehört ins Zentrum thailändischer Religionsausübung. Das ist natürlich eine Schiene, die den ursprünglichen, puristischen Ansatz verdunkelt. Es ist ein Verdienst des Sangha, immer wieder bedenkliche Auswüchse einer drohenden Buddha-Vergottung in die Schranken zu weisen.

Somit: Was die fromme Zuwendung zum Buddha selbst betrifft, gibt es bestimmte Grenzen. Hinsichtlich der Götter- und Geisterverehrung kann man sich jedoch nahezu ungehemmt „austoben“. Das gehört zu den sinnfälligsten Merkmalen der gelebten Religion in Thailand. Das Geisterhäuschen, eine Art Miniaturtempelchen für den Chao Thi, den Hausgeist, gehört zu fast jedem Gebäude, sei es in der Stadt, sei es auf dem Land. Es ist auch aus dem Leben eines „verweltlichten“ Thais nicht wegzudenken.

Der Mensch als Person – eine Illusion
Leben ist Leiden (s.o.); das Elend besteht darin, daß die individuelle Existenz in jeder Hinsicht Leid ist – denn sie ist eine Illusion. Vorstellungen wie „ich“ und „selbst“ sind als verhängnisvolle Irrtümer zu entlarven. Kern und Stern ist die Lehre vom Nicht-Ich, vom selbst-losen Menschen. Was uns als individuelle Existenz vor Augen tritt, ist tatsächlich ein fließendes Gebilde aus zahllosen Einzelfaktoren (Dharmas; eine weitere Bedeutung dieses zentralen Begriffs!), die sich in ständiger Bewegung permanent neu verbinden – nicht beliebig, sondern nach den strengen Regeln des Weltgesetzes. Und das hört auch mit dem Tod nicht auf; vielmehr wirken diese Dharmas weiter, so daß ein neues „Wesen“ auf der Grundlage des alten entsteht. Das ist natürlich uneigentlich gesprochen: Fakt ist nämlich, daß aus illusorischer Existenz wieder nur illusorische Existenz fließen kann. Der Mensch, gefangen in Nichtwissen und Verblendung, durchschaut das aber nicht.

Eine in der Tat steile Theorie, an der man sich die Zähne ausbeißen kann! Was Wunder, daß es kaum möglich ist, diese für den normalen Menschen unverständliche Anthropologie den breiten Schichten der Bevölkerung zu vermitteln!

Was dem herkömmlichen thailändischen Buddhisten einleuchtet, ist die Sache mit dem Karma („automatische Wirkungskraft der Tat“). Was der Mensch sät, wird er ernten. Also gilt es, Punkte zu sammeln. Sogenannte gute Taten vollzieht man auch unter dem berechnenden Kalkül, sich eine anständige Wiedergeburt zu sichern. Schlechtes Karma führt zum Abstieg im Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara). Also gibt man Almosen, läßt gefangene Vögel frei, nimmt am offiziellen religiösen Leben teil usw. Klar, daß eine derartige Berechnung nichts mit dem Ideal eines selbst-losen Lebens zu tun hat.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Sache mit dem Wahren des Gesichts. Bloßstellen der eigenen Persönlichkeit bedroht die Existenz – so empfindet der Thai damals wie heute. Buddhistisch ist das nicht.

Daß der tägliche Lebensvollzug hinter den selbstlosen buddhistischen Idealen weit zurück bleibt, wird auch an der alltagsbestimmenden Maxime von Sanuk (Spaß) sichtbar. Leben muß Spaß machen; man will ein gutes Leben haben – und das ist vor allem materiell gemeint...

Der Orden – ein leuchtendes Vorbild?
Ja, sie leuchten, die orangen Gewänder der kahlgeschorenen Mönche in Thailand. 25 000 Klöster mit etwa 300 000 Mönchen soll es im Königreich geben. Die Zahl der Nonnen (mit einem Status weit unterhalb dem der Mönche) ist vergleichsweise gering.

Viele Männer tragen die Mönchsrobe lediglich auf Zeit. Das schafft immerhin gutes Karma; auch für die Angehörigen fällt dabei etwas ab.

Die gesellschaftliche Relevanz der Klöster ist unbestreitbar. Hier besteht gerade für die ärmeren Schichten der Bevölkerung die unentgeltliche Möglichkeit, bei freier Kost und Logis eine brauchbare (nicht nur religiöse) Bildung zu erwerben.

Aber es geht noch um mehr: Im Sangha , dem Orden also, soll buddhistisches Leben konsequent und glaubhaft praktiziert werden. Nur der Mönch ist Buddhist im Vollsinne des Wortes und kann den ganzen Erlösungsweg gehen. Er hat doppelt so viele Sittengesetze wie der Laie (s.o.) zu erfüllen. Daneben gibt es zahlreiche weitere Vorschriften und Regeln. Kein Zweifel, der Buddhismus ist eine Zweiklassenreligion. Den Laienanhängern stehen die Echten und Eigentlichen gegenüber. Man findet sie nur im Sangha.

Hier gibt es keinen Alkohol, weder Tanz noch Musik noch Theater, keinen Schmuck, keine Wohlgerüche, keinen materiellen Besitz, kein Essen nach 12 Uhr. Geschlechtsverkehr, Diebstahl, Mord und religiöser Hochmut sind die Hauptvergehen, die eine Erlösung ausschließen. Aber der Mensch ist, wie er ist. Also verwendet der Sangha seit jeher eine erstaunliche Energie darauf, Hintertürchen zu finden, die den Alltag erleichtern. Manches hört sich banal an, zuweilen auch schlitzohrig:
Wieso soll man nachmittags nicht etwas Schokolade oder Honig zu sich nehmen? Das sind doch keine Speisen, sondern hart gewordene Flüssigkeiten... Soll man Filme auf Video verbieten, besonders wenn sie religiös aufbauend sind? Ist ein unbeabsichtigter Samenerguß bei Nacht ein sexuelles Vergehen? Man kann doch nichts dafür... Kurzum: Die Kasuistik feiert fröhliche Urständ, damit nicht alles gar so streng ist.

Der buddhistische Monarch – Schutzherr der Religion
Schon zu Lebzeiten Siddharta Gautamas hat die neue religiöse Bewegung das Interesse politischer Machthaber auf sich gezogen. Nur beispielsweise sei König Bimbisara vom Magadhaland als Protektor und Förderer des Sangha genannt. Später war es dann vor allem Kaiser Ashoka im 3. Jahrhundert v. Chr. Zahlreiche andere Patronatsherrscher folgten in den verschiedensten Ländern. – Eine apolitische, friedvolle, ethisch verantwortliche Religion ist natürlich ein Politikum ersten Ranges, für die Herrschenden von großem Vorteil, kurz: eine feine Sache!

Das erste wirkliche Thai-Königreich war das von Sukothai, begründet im 13. Jahrhundert. Seine herausragende Herrschergestalt, der fürsorgliche, wohltätige, väterliche Ramkamhaeng machte den Hinayana-Buddhismus zur Staatsreligion und verkündete die Verbindlichkeit des buddhistischen Ethos nicht nur für das Volk, sondern auch für die Herrschenden. In der Folgezeit wurde diese Verpflichtung des Herrschers durch den Gesetzeskodex Thammasat weiter gestützt. Doch schon bald, in der Ayutthaya-Periode (1350-1767), verblaßte das Bild des gütigen, volksnahen Patriarchen. Starke indisch-brahmanistische Einflüsse, herkommend aus der Khmer-Kultur, förderten die Vorstellung des inkarnierten Gottkönigs. Die egalitäre Gesellschaft des Thammasat wurde ersetzt durch eine verbindlich gegliederte Klassengesellschaft auf dem Hintergrund des kasuistischen Hindu-Gesetzbuches des Manu.

Und heute? Interessanterweise tragen alle Könige der seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bis in unsere Zeit regierenden Chakri-Dynastie die Bezeichnung „Rama“, also den Namen eines Avatara („Inkarnation“) des Hindu-Gottes Vishnu. Das ist ein unübersehbarer Hinweis auf das Gottkönigtum des Monarchen. Gleichwohl ist natürlich offenkundig, daß die Chakri-Herrscher das moderne Siam geschaffen haben. Man denke nur an die Könige Mongkut (Rama IV, 1851-68) und Chulalongkorn (Rama V, 1866-1910). Es kam westlicher Einfluß ins Land, auf fast allen Gebieten.

Gegenwärtig sehen viele im König wohl beides: den fürsorglichen Vater seiner Untertanen und den Ehrfurcht gebietenden Gottkönig, dessen absolute Macht zwar seit der Einführung der konstitutionellen Monarchie 1932 dahin ist, dessen tatsächlicher Einfluß und Bedeutung aber ungebrochen ist.

Die herzliche Verehrung und aufrichtige Ehrfurcht, die in unseren Tagen König Bhumipol (Rama IX) entgegen gebracht werden, sind überall im Land mit Händen zu greifen. Er ist tiefgläubiger Buddhist, zog selber eine Zeitlang mit Mönchsgewand und Reisschale durch die Straßen und erweist bis zum heutigen Tag durch sein Ansehen dem Buddhismus in Thailand unschätzbare Dienste.

Daß er zugleich Schutzherr aller Religionen im Land ist, hat sich während seiner Regierungszeit schon des öfteren ganz konkret segensreich ausgewirkt. Die gegenwärtigen religiösen Spannungen im Süden des Landes werden vielleicht nur durch ihn in dieser seiner ganz besonderen Eigenschaft beseitigt werden können.

Moderne buddhistische Strömungen – Zeichen unserer Zeit ³
Die Bevölkerung Thailands hat sich in den letzten 40 Jahren mehr als verdoppelt. Die horrende soziale und wirtschaftliche Entwicklung hat zu starken Veränderungen und Verunsicherungen im Gefüge der Gesellschaft geführt. Die Thais unserer Tage sind ganz „anderen Problemen ausgesetzt“ als ihre Großeltern, „wie etwa Verkehrsstaus, einem Kommunikationsüberangebot, Internetmüll, Arbeitslosigkeit, Inflation, einer unsicheren wirtschaftlichen Zukunft und einem wachsenden Bewußtsein, daß man von unvorhersehbaren globalen Kräften berührt, gesteuert, wenn nicht auf bestimmte Weise geformt wird“ (B. J. Terwiel).

Derlei wirkt sich auch auf das religiöse Leben aus. Man kann darüber streiten, inwieweit buddhistische Prinzipien den Alltag der Bevölkerung bestimmen. Eine der höchsten Mordraten der Welt, verbreitete Korruption, grassierende Prostitution und anderes mehr sind sicherlich nicht Ausfluß buddhistischer Lebensweise. Das herkömmliche enge Miteinander religiöser und politischer Führer ruft zunehmend Kritik am angeblich verfilzten Establishment hervor und bereitet seit längerem den Boden für alle möglichen Reformbewegungen:

Diese reichen von der anspruchsvollen Suan-Mokh-Bewegung („Garten der Befreiung“) Buddhadosas, die ein zeitgemäßes Verständnis traditioneller Vorstellungen propagiert, bis hin zu dem schillernden „Charismatiker“ Phra Yantra, dessen fragwürdiger Lebensstil ihn nach USA abtauchen ließ.

Zu einer wirklichen Herausforderung für den etablierten Buddhismus im Königreich wurden aber vor allem zwei Bewegungen:

Santi Asoka nimmt aus fundamentalistischer Perspektive die herrschende Konsumideologie und die Seilschaften derer da oben aufs Korn und erzielt damit eine ambivalente Resonanz:


Vielen gefällt die Kritik am ungeliebten Establishment, aber ein kosumabgewandtes, gar asketisches Leben möchten die meisten eben doch nicht führen.

Der Konflikt mit der offiziellen Sangha-Administration konnte nicht ausbleiben. Phra Pothirak (auch Phra Bodhiraksa), Leiter der Bewegung, löste sich mehr und mehr von den anerkannten thai-buddhistischen Grundsätzen und verlor am Ende sogar seine Mönchswürde: „1989 kam eine große Versammlung von 151 der gelehrtesten und höchstrangigen thailändischen buddhistischen Mönche in allgemeiner Sitzung zu der Meinung, daß Pothirak sich abseits vom Theravada-Buddhismus befinde (B. J. Therwiel). „Santi Asoka wurde vom thailändischen Staat verfolgt, weil sie eine ernste Bedrohung seiner Beziehungen zum buddhistischen Klerus darstellt“ (Suwanna Satha-Anand). Diese Bewegung existiert gleichwohl weiterhin, natürlich außerhalb des etablierten Sangha, als kleine Gruppe, allerdings mit zahlreichen Sympathisanten.

Besser steht die Thammakaya-Bewegung da. Zentrum ihrer Religiosität ist die Meditation. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sie sich unter den Mönchen Thammachayo und Thattachiwo zu einem riesigen buddhistischen Geschäftsunternehmen. Vor allem Thammachayo wurde mehr und mehr glorifiziert und von seinen Anhängern als Bodhisattva, ja als irdischer Stellvertreter Buddhas verehrt. Die Rekrutierung von Anhängern geschieht professionell mit ausgeklügelten Missionsstrategien.

Die etablierten Führer der Religion kritisieren Thammakaya als häretisch und unorthodox. Dennoch ist man vor eine kompletten Trennung bisher zurückgeschreckt. Thammachayo und Co. haben im Unterschied zu Santi Asoka einflußreiche Freunde in oberen Gesellschaftsschichten…

Jedenfalls rumort es sichtbar im thailändischen Buddhismus. Auf die weitere Entwicklung darf man gespannt sein.

Wulf Metz


¹ Der Text orientiert sich maßgeblich an meiner folgenden Publikation:
Buddhismus im Königreich Thailand. Zwischen Tradition und Anpassung. In: Thailand-Rundschau 9 (1996), Nr. 2, S. 52-58.

² Zu seinem Leben vgl. meine folgenden Veröffentlichungen:
Die Religion des Erhabenen. Eine kurze Einführung in den Buddhismus. Bonn 1989, S. 41-66; Buddhismus. Kurzinformation über die „Religion des Erhabenen“, München 1992, S. 18-24;
Der Erleuchtete: Buddhismus. In: Handbuch Weltreligionen (hg. v. W. Metz), 5. Aufl. Wuppertal 2003, S. 222-226.

³ Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich u.a. Suwanna Satha-Anand, Die Gruppe Santi Asoka fordert den etablierten Buddhismus Thailands heraus.
In: Thailand-Rundschau 11 (1998), Nr. 2/3, S. 58-60; Baren Jan Therwiel, Aufstand der Abtrünnigen. Neue Strömungen im thailändischen Buddhismus. In: Ebd. 16 (2003), Nr. 2, S. 50-55.